Montag, 2. November 2009

Schweinegrippe als Konjunkturmotor

In der aktuellen Ausgabe des Nachrichtenmagazins profil ist heute eine Coverstory zur Schweinegrippe erschienen. In habe dazu ein Interview mit der Public-Health-Expertin Claudia Wild geführt, deren Aussagen ich sehr interessant finde:


In Ländern wie Schweden lassen sich mehr als die Hälfte der Menschen gegen die neue Grippe impfen. Präsident Obama rief sogar den nationalen Notstand aus. Warum sind wir in Österreich diesbezüglich eigentlich so unbeeindruckt?

Wild: Ich finde, dass sich die Politik bei uns bislang relativ rational verhalten hat, indem sie bewusst zurückhaltend agiert. Die Schweinegrippe ist bei uns eine nicht bedeutsame Erkrankung. In Ländern mit mehr Todesfällen mag das anders sein. Bedenklich finde ich, dass auf Anordnung der WHO damit aufgehört wurde, die Erkrankten zu zählen. Nun erfährt man nur noch von den Todesfällen, weiß aber nicht, wie hoch das Sterberisiko tatsächlich ist.

Besonders gefährdet sind Schwangere. Gibt es dafür eine Erklärung?

Wild: Darüber haben wir auch im Pandemie-Ausschuss des Ministeriums lange diskutiert. Die Einschätzung beruht auf einer Zahl von 36 schwangeren Frauen, die in den USA gestorben sind. Zwei Drittel davon waren chronisch krank und hatten ein erhöhtes Risiko. Wenn man dazu noch berücksichtigt, dass in den USA jährlich 4,1 Millionen Babys zur Welt kommen, so liegt das konkrete Risiko einer Schwangeren bei einer Zahl, die hinter dem Komma drei Nullen hat.

Die Empfehlung, speziell Schwangere zu impfen, erscheint Ihnen also nicht nachvollziehbar?

Wild: Ich kann die ganze Impfung nicht nachvollziehen. Diesen Hype um ein neues Virus, das im Normalfall eine sehr leichte Form der Grippe macht.
Das muss man nicht so ernst nehmen.
Zudem wissen wir über die konkrete Wirkung viel zu wenig. Das ist leider bis heute eine Glaubensfrage geblieben, ob die Impfung – sowohl jene gegen die saisonale als auch jene gegen die neue Grippe – überhaupt schützt. Es gibt dafür wenig Evidenz, außer vielleicht in Pflegeheimen, wo stark immun geschwächte Menschen eng beisammen stecken.

Sind die Prüfungen der Zulassungsbehörden ausreichend?

Wild: Die Europäische Arzneimittelagentur ähnelt leider sehr stark einem Geheimklub. Die wissenschaftliche Community hat oft keine Chance, hier mitzudenken, weil viele Daten nicht offen gelegt werden. Bei Impfungen sind die großen Schäden selten und treten erst auf, wenn ich ein paar hunderttausend Menschen geimpft habe. Da braucht es ein gutes Überwachungssystem. Wenn von einer Krankheit ein sehr geringes Risiko ausgeht, so muss eine Impfung umso sicherer sein. Im Fall der Influenza wissen wir aber nicht mal, wie viele Grippetote es überhaupt gibt. Da gibt es nur die Schätzungen der Impfexperten über die vielen Tausenden Toten. Dabei handelt es sich um sehr alte sehr kranke Menschen, die zum Großteil mit dem Virus, aber nicht am Virus sterben.

Ist die Schweinegrippe, so wie das Professor Graninger kürzlich ausgedrückt hat, für Menschen, die keiner Risikogruppe angehören sogar eine Wohltat, weil sie immun macht gegen mögliche künftige Mutationen?

Wild: Die Schweinegrippe ist keine schwere Krankheit. Und sie stärkt auch das Immunsystem, wenn man sie einmal durchlaufen hat. Man sieht das bei den Älteren, die vermehrt gegen die Schweinegrippe immun sind, weil sie dem Virus irgendwann schon mal begegnet sind. Ein Immungedächtnis bekommt man aber nur, wenn man sich dem Virus aussetzt.

Die WHO argumentiert, dass sie auf Grund der bestehenden Fakten die höchste Pandemiestufe 6 ausrufen musste.

Wild:
Ich denke nicht, dass das formal in Ordnung war. Das Virus ist nicht so neu, wie getan wird. Ältere Leute haben eine Immunität dagegen. Die Definition für eine Pandemie musste zudem von der WHO extra geändert werden, weil das zuvor noch mit einem beträchtlichen Krankheits- und Sterberisiko verknüpft war.

Sie meinen, dass das eher als Konjunkturmotor für die Pharmaindustrie benutzt wurde?

Wild: Ja, hier sind in den letzten Jahrzehnten sehr wenige innovative Produkte heraus gebracht worden. Von Durchbrüchen – etwa im Bereich der Krebsmedizin – kann nicht mal Ansatzweise die Rede sein. Die Industrie konzentriert sich derzeit ganz stark auf dieses Segment. Impfungen haben einen sehr guten Ruf, auf den man aufspringen kann. Hier eröffnen sich riesige Märkte. Und für die Zulassung genügen ein paar Laborwerte, so wie z.B. der Antikörperspiegel. Dass die Geimpften dann auch wirklich geschützt sind, bedeutet das allerdings nicht. Ich sehe schon die Gefahr, dass die vielen sinnvollen Impfungen durch diese Inflation an Neuzulassungen irgendwann in Verruf geraten.

Derzeit sind drei Personen mit H1N1-Infektion in Österreich auf einer Intensivstation in Behandlung. Ein 11-jähriges Mädchen aus Südtirol, ein 41 jähriger Deutscher – und nun auch noch eine Schwangere in Wien. Lässt sich daraus schließen, dass die Schweinegrippe generell gefährlicher wird?

Wild: Es ist die Lupe, die Dinge vergrößert. Die Schlussfolgerung, dass diese Personen nicht erkrankt wären, wenn sie geimpft gewesen wären, greift zu kurz und zeugt nur von Gläubigkeit. Ich bleibe bei meiner Position: Wir müssen das Virus ernst nehmen, hinschauen, adequate situationsbezogene Reaktionen setzen. Ich warne aber vor Überreaktionen wie das prophylaktische Gaben von Tamiflu wären oder auch die Massenimpfung.


Claudia Wild, 49, leitet das vor drei Jahren gegründete Ludwig Boltzmann Institut für Health Technology Assessment in Wien, das sich der wissenschaftlichen Entscheidungsunterstützung im Gesundheitswesen widmet. Im September wurde die habilitierte Sozialmedizinerin von Gesundheitsminister Alois Stöger zusammen mit dem Infektionsexperten Wolfgang Graninger in den Pandemie-Ausschuss nach nominiert. Claudia Wild ist Mutter zweier Kinder und lebt in Wien.

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