Donnerstag, 25. Februar 2010

Die Kampagne gegen natürliche Fette

Bei einer Recherche zu Nutzen und Risiko der Cholesterinsenkung bin ich über ein Video gestolpert, in der einige Wissenschaftler über Fette und Öle sprechen. Sie erzählen darin Facetten einer spannenden und skandalösen Geschichte zur groß angelegten Manipulation unserer Nahrungsmittel.
Konkret geht es um den Austausch der natürlichen Fette, vorwiegend aus Milchprodukten und Fleisch gegen künstliche, industriell erzeugte Billigfette, die uns über recht plumpe Tricks als "gesünder" untergejubelt wurden. Zwei Hauptbotschaften waren es, die dabei unter die Leute gebracht wurden.
Zum einen die Weisheit "Fett macht fett". Zum zweiten die Behauptung, dass tierisches Fett die Arterien verstopft und nur Pflanzenfett "herzgesund" ist. Beide Argumente sind wissenschaftlich unhaltbar, werden aber dennoch hartnäckig bis heute verbreitet.
Die damit entfachte Kampagne hat - beginnend in den 70er Jahren des vorigen Jahrhunderts - den gesamten Nahrungsmittelmarkt umgekrempelt und zudem die Lebensmittel mit industriell erzeugtem Transfett verseucht. Noch bis in die 90er Jahre bestand etwa Margarine zu mehr als einem Drittel aus Transfettsäuren. Das sind künstliche beim Prozess der industriellen Härtung entstehende Fettsäuren, von denen die meisten in der Natur  nicht vorkommen und die im Organismus, wenn sie sich einmal eingelagert haben, kaum noch abgebaut werden können. In der Folge kommt es zu Mikroentzündungen, die Zellschäden und in weiterer Folge Arteriosklerose verursachen.
Walter Willett, der Leiter der Abteilung für Ernährung an der Harvard School of Medicine wies über seine Studien nach, dass viele Millionen Menschen wegen des Transfett-Gehalts in Lebensmitteln vorzeitig gestorben sind. Unzählige andere Arbeiten bestätigen diesen Befund.
Erst in den letzten Jahren werden - gegen den Widerstand der Nahrungsmittel- und Agrarlobby - zunehmend gesetzliche Regelungen für Transfett-Obergrenzen geschaffen. Pionier war hier Dänemark. Im Vorjahr folgte auch Österreich. Eine EU-weite Regelung ist jedoch noch immer nicht in Sicht.
Während die Fastfood und Margarine-Industrie  das Problem der Transfette über Umstellungen im Prozess der Härtung, sowie über die Verwendung anderer Fette heute weitgehend gelöst hat, sind es die Bäcker, die noch immer große Mengen an Transfett-haltiger Margarine und Frittieröle verwenden. Speziell belastet sind Blätterteig-Gebäck und Krapfen.
Es lohnt sich, Ihren Bäcker auf diese Problematik anzusprechen. Fragen Sie, ob das verwendete Fett Transfett frei ist - oder sehen Sie auf dem Etikett nach, ob "Fette - teilweise gehärtet" im Produkt vorkommen.
In dem Video-Beitrag sprechen die Mediziner aber nicht nur über Transfette, sondern allgemein über die Kampagne, die - im Auftrag der Pflanzenöl-Lobby - alle tierischen Fette in Verruf brachte, weil diese gesättigte Fettsäuren und Cholesterin enthalten.
Wer sich noch nie mit den wissenschaftlichen Hintergründen befasst hat, mag erstaunt sein, werden diese beiden Komponenten doch seit Jahren einhellig in den Medien verteufelt. Noch erstaunter sind allerdings jene, die  versuchen, tatsächliche Belege für deren Gefährlichkeit zu finden.
Ich habe im Ernährungs-Kapitel meines Buches "Die Lebensformel" diesen Versuch unternommen und bin auf eine abenteuerliche Geschichte von Wissenschafts-Betrug und dummdreister Pseudo-Science gestoßen, in der Glaube und Vorurteil mit Fakten verwechselt wurden. Die Ernährungsmedizin hat sich hier heillos verstrickt und von ihren falschen Dogmen bis heute nicht wirklich gelöst.

Hier also neun Minuten lang Aussagen, die den Vorteil haben, dass sie auch belegbar sind:



Hier auch noch eine ganz aktuelle Meta-Analyse zum Risiko von gesättigten Fettsäuren in Nahrungsmitteln, wie sie vor allem in tierischen Fett-Produkten (z.B. Butter, Schweineschmalz) aber auch z.B. in Kokosfett oder Palmöl enthalten sind.
Die Wissenschaftler der Harvard School of Public Health werteten für ihre Metaanalyse 21 große Studien mit zusammen 347.747 Teilnehmern aus, die über einen Zeitraum von 5 bis 23 Jahren in die Studien eingeschlossen waren.
Das Ergebnis: Es gibt keine Beweise für den Schluss, dass gesättigte Fettsäuren das Risiko für Herzkrankheiten oder Schlaganfälle erhöhen.

In einem Kommentar zu ihrer Arbeit schreiben die Autoren, worin die Gefahren liegen, wenn gesättigte Fettsäuren in Nahrungsmitteln ersetzt werden:
Replacement of saturated fat by polyunsaturated or monounsaturated fat lowers both LDL and HDL cholesterol. However, replacement with a higher carbohydrate intake, particularly refined carbohydrate, can exacerbate the atherogenic dyslipidemia associated with insulin resistance and obesity that includes increased triglycerides, small LDL particles, and reduced HDL cholesterol.

Zur Vermeidung von Herzkrankheiten, Diabetes und Übergewicht, sei es deshalb notwendig, die Ernährungs-Empfehlungen zu ändern, und den Fokus weg von den gesättigten Fetten hin zu einer Reduktion bei den hoch-verarbeiteten Kohlenhydraten zu legen. Andernfalls würde zwar das "böse" LDL Cholesterin reduziert - gleichzeitig aber auch das "gute" HDL. Zudem steige über eine solche "Ersatzdiät" die Insulinresistenz und damit die Neigung zu Übergewicht und zu Diabetes.

Fazit: Gesättigte Fettsäuren sind keine Gesundheitsgefahr. Diese geht eher von einer Ersatzdiät aus, die eine Fettreduktion über Kohlenhydrat- und Energie-reiche Nahrungsmittel auszugleichen versucht.

Donnerstag, 18. Februar 2010

Der lange Abschied von EPO aus der Krebstherapie

In den USA machen die Gesundheitsbehörden nun ernst mit ihren bereits seit langem diskutierten Plänen, die Verordnungen von EPO-Präparaten gegen Blutarmut in der Onkologie kräftig einzuschränken.

Lange Jahre waren EPO-Präparate einer breiteren Öffentlichkeit nur als Dopingmittel - vor allem im Radsport - bekannt. In der Medizin wird biotechnologisch hergestelltes Erythropoetin vorwiegend bei der Behandlung der Blutarmut von Dialysepatienten, bei denen die Blutbildung infolge eines Chronischen Nierenversagen gestört ist, und nach aggressiven Chemotherapiezyklen eingesetzt. Diese Arzneimittel machten den US-Hersteller Amgen, der den Markt lange als Monopolist beherrschte, zum größten Biotec-Konzern der Welt. Vor etwa vier Jahren begann der Aktienkurs von Amgen jedoch kontinuierlich einzubrechen. Dafür gab es vor allem zwei Ursachen:
  • Zum einen liefen die Patente aus und einige Konkurrenten kündigten an, dass sie so genannte "Biosimilars" - wie die Generica im Bereich der Biopharmaceuticals heißen - auf den Markt bringen. Amgen hat darauf mit einer starken Preisreduktion reagiert.
  • Der wichtigere Grund aber waren ständige Diskussionen über ein erhöhtes Krankheits- und Sterberisiko bei den mit EPO-Präparaten behandelten Patienten.

EPOs sind biotechnologisch hergestellte Wachstumsfaktoren für rote Blutkörperchen. Sie verringern das Risiko von Bluttransfusionen und brachten in der Therapie fortgeschrittener Nieren-Erkrankungen einen wahren Durchbruch. Die Patienten konnten plötzlich wieder aufstehen, und hatten eine deutlich bessere Lebensqualität. Mit diesen Vorschusslorbeeren wurden EPOs rasch auch in der Onkologie eingeführt. Ein deutlich breiteres Anwendungsgebiet machte die Medikamente zu Bestsellern. Onkologen, allen voran der Wiener "Epo-Papst" Heinz Ludwig, bewarben diese Mittel als Garanten für eine bessere Lebensqualität von Krebspatienten. Die Zielwerte für den Gehalt an roten Blutkörperchen wurden immer höher - bis auf das Niveau von Gesunden - gesteigert.
Doch eine ganze Reihe von Studien zeigte, dass die Wachstumshormone nicht nur die Blutzellen, sondern auch bestimmte Tumoren zum Wachstum anregen.

Nun hat die US-Behörde FDA die Konsequenzen gezogen: Alle Krebsmediziner, die nach wie vor EPOs verschreiben, müssen sich registrieren. Zusätzlich wird eine strenge Informations-Pflicht eingeführt. Alle Patienten müssen einer Behandlung - nach vorhergehender Lektüre der Risiken - ausdrücklich zustimmen.
Und nach dem, was im FDA-Risikokatalog angeführt wird, werden das wohl nur noch sehr wenige befürworten:

  • höheres Krebsrisiko
  • verkürztes Überleben
  • höheres Risiko von Herzinfarkt
  • höheres Risiko von Herzschwäche
  • höheres Risiko von Schlaganfällen
  • vermehrte Thromboseneigung

Die europäische Arzneimittelbehörde hat bisher keine vergleichbar strengen Maßnahmen ergriffen.

Um zu zeigen, wie extrem langsam die behördlichen Mühlen mahlen, auch wenn eine Gesundheitsgefahr offensichtlich ist, bringe ich hier ein Interview mit dem Freiburger Onkologen Michael Henke, einem der ausgewiesenen Experten auf dem Gebiet der EPO-Präparate, der bereits im Jahr 2003 (!) in einer Lancet-Publikation auf das höhere Krebsrisiko aufmerksam machte. (Das Interview wurde im September 2007 geführt.)

„Wir sind alle erschrocken“

Der Freiburger Radioonkologe Michael Henke machte die erste große Studie, die zeigte, dass EPO-Präparate zur Behandlung von Blutarmut bei Krebspatienten große Risiken bergen. 


Ehgartner: Vor Ihrer Arbeit haben die meisten Kollegen nur nachgesehen, ob Epo-Produkte gegen Blutarmut helfen. Das taten sie zumeist. Wie sind sie denn auf die Idee gekommen, auch mal nachzuforschen, ob diese Patienten in der Folge dann auch länger leben?

Henke: Wir wussten zum einen, dass Patienten mit Blutarmut eine schlechtere Heilungsrate bei Tumoren haben. Zum zweiten wussten wir, dass in der Radiologie, wenn der Strahl wirken soll, genügend Sauerstoff im Gewebe sein muss. Dann haben wir eins und eins zusammengezählt und überlegt, dass wir mit der Gabe von Erythropoetin eine Verbesserung der Strahlenwirksamkeit am Krebsgewebe erreichen könnten. Wir sind sehr ehrgeizig angetreten, konnten auch die Industrie zur Finanzierung gewinnen, weil das für sie ein Wachstumsmarkt war, und wollten eine Studie machen, um das ein für alle mal zu beweisen. Und dann kam zum Entsetzen aller – vor allem der Industrie – genau das Gegenteil raus: Die Patienten der EPO-Gruppe hatten eine signifikant höhere Sterblichkeit und ein rascheres Tumorwachstum.

Ehgartner: Wie war die Reaktion des EPO-Herstellers Roche, der die Studie finanzierte?

Henke: Man war nicht glücklich.

Ehgartner: Man weiß von ähnlichen Fällen, dass es dann manchmal ganz schön Druck geben kann auf die Autoren, das Ergebnis gar nicht zu publizieren.

Henke: Ich war in der glücklichen Situation, dass ich nie in Versuchung geführt wurde. Dann kommt dazu, dass ich ein ziemlicher Holzkopf bin, der schon sehr an der Wahrheitsfindung in der Wissenschaft interessiert ist. Es war mir schon wichtig, dass dieses Ergebnis in der Fachwelt entsprechend diskutiert wird.

Ehgartner: Das war ja auch eine schöne Publikation für Sie in einem Topjournal, wie dem Lancet?

Henke: Ich hätte natürlich gerne das Gegenteil publiziert. Aber wir waren alle sehr erschrocken, auch ich. Dann haben wir überlegt, ob wir Fehler gemacht haben. Ich wollte es ja nicht glauben. Ich habe noch meine eigenen Patienten nachanalysiert. Und fand genau dasselbe Ergebnis. Und bestand darauf, dass das diskutiert wird, weil ja konkret Patienten gefährdet werden. Da fühle ich als Arzt schon Verantwortung: Man kann nicht ohne Erfolgsaussicht behandeln, schon gar nicht wenn das Risiko besteht, dass Patienten dann nicht profitieren, sondern sogar eher sterben könnten.

Ehgartner: Hat Ihnen diese Publikation karrieremäßig genützt?

Henke: Im Gegenteil. Das führte dazu, dass ich jetzt für die Industrie weniger interessant bin. Früher habe ich doch die eine oder andere Forschungs-Unterstützung mehr bekommen.

Ehgartner: Ihre Studie stand damals im Jahr 2003 ziemlich allein da. Wie waren die Reaktionen?

Henke: Ich bin als Exot apostrophiert worden. Was die Freiburger hier rausgefunden haben, wurde als Käse abgetan. Zum Glück war die Studie doch sehr sauber und man konnte sie nicht in Bausch und Bogen verdammen. Der Effekt von EPO war ganz eindeutig negativ. Ob man das jedoch auf alle Krebspatienten verallgemeinern kann, da wäre ich noch vorsichtig.

Ehgartner: Ihre Arbeit wurde von der Methodik aber heftig kritisiert.

Henke: Wir haben etwas publiziert, was dem damaligen Verständnis komplett widersprochen hat. Dass das kritisch diskutiert wurde fand ich gut. Es kann ja nicht sein, dass hier jemand einfach so einen Luftballon loslässt und das bleibt einfach stehen.

Ehgartner: Gabs auch Angriffe unter der Gürtellinie?

Henke: Ich habe mich schon geärgert, wenn uns schlechte Methodologie vorgeworfen wurde, oder dass wir die Patienten nicht ordentlich nach Studienprotokoll behandelt hätten. Denn das stimmte einfach nicht. So richtig unfaire Angriffe gabs keine. Ja, es gab Kopfschütteln. Und einige Kollegen haben mich in der Folge nicht mehr gegrüßt. Die gabs auch. Das hat mich verwundert. Wenn mich jemand nicht mehr grüßt, muss ich dem schon weh getan haben. Wie aber kann ich das? Da muss ich wohl an deren finanziellem Support gekratzt haben.

Ehgartner: In den USA war das kürzlich ein großes Thema, dass Ärzte oder Dialyse-Zentren hier regelrechte Provisionszahlungen von den EPO-Herstellern bekamen, je mehr und je höher dosiert ihre Produkte verabreicht wurden.

Henke: In den USA kauft der Doktor die Medikamente meist bei der Firma ein und verkauft das den Patienten weiter. Der fungiert dort auch als Apotheker. Vom EPO-Umsatz in den USA gehen 25% in die Tasche des Doktors. So läuft es aber in Europa nicht. Die Kollegen hier haben schon auch ein gewisses Sponsoring. Wenn sie beispielsweise zu Kongressen eingeladen werden oder Vorträge halten. Das ist auch in Ordnung, wenn der Leistung ein reelles Honorar gegenübersteht.

Ehgartner: In manchen großen Krankenanstalten wir EPO per Ausschreibung an eine der drei Anbieterfirmen vergeben. Wäre das die sauberste Lösung?

Henke: Klar, denn die Ärzte sind ja auch befangen. Und gehen mit gewissen Präparaten großzügiger um, wenn sie zu den jeweiligen Referenten einen guten Draht haben. Das ist völlig normal. Und das wird von der Industrie gezielt gesteuert und genutzt.

Ehgartner: Die Fachgesellschaften in der Onkologie aber auch in der Nephrologie haben noch vor relativ kurzem in den USA hohe Zielwerte für die Behandlung der Blutarmut angegeben. War das in Deutschland anders?

Henke: In Europa war man generell zurückhaltender. Die Österreicher haben da eine kleine Ausnahmerolle, weil sie bei EPO besonders großzügig waren und die Zulassung in der Onkologie sehr weit gefasst ist. Hier wurde von den Firmen ein sehr aktives und kompetentes Marketing gemacht. Und dann kommt dazu, dass beispielsweise der Herr Professor Ludwig aus Wien sich als einer der ersten speziell der Lebensqualität der Krebskranken angenommen hat. Er hat hier gezeigt, dass EPO dafür nützlich ist und das hat natürlich generell zu einer postiven Einstellung geführt. Österreich ist also hier vorne dran.
In Deutschland hat man die Tumoranämie eher immer als Anzeichen fürs herannahende Lebensende angesehen. Da muss ich den Patienten ja nicht wie einen Radfahrer in Topform sterben lassen. Man hat die Anämie eher als schicksalhaft akzeptiert. Und wenn jemand ganz schlecht beinander war, gaben wir eher Bluttransfusionen. Wir waren mit den Transfusionen in Europa eher großzügiger und nahmen weniger EPO.

Ehgartner: Haben die Firmen gar nicht auf diese europäische Zurückhaltung reagiert?

Henke: Doch. Sogar recht geschickt. Sie haben in ihrer Werbung immer mehr in den Vordergrund gerückt, dass man mit EPO nicht die konkrete Blutarmut der Patienten behandeln soll, sondern dass es besser wäre, gleich das Entstehen der Anämie zu verhindern. Dazu hat man sich an Laborwerten orientiert, den so genannten Hb-Wert, der den Anteil des roten Blutfarbstoffes misst. Es wurde also die Therapie mit EPO begonnen, damit der Laborwert nicht weiter abfällt und irgendwann eine Anämie entsteht. Man hat damit einem Denken Vorschub geleistet, das uns eher fremd war: dass man einen Laborwert behandelt und nicht den Patienten. Ich habe von meinen Lehrern immer die Regel mitbekommen: Wir behandeln keine Laborwerte! Das sitzt bei mir ganz tief drin. Ich würde also nicht sagen, ich gebe EPO ab einem Hb-Wert von 9 oder von 11. Vielmehr behandle ich Beschwerden oder zu erwartende Beschwerden.
Aber für einen unerfahrenen Arzt ist das natürlich sehr praktisch, sich an einem Laborwert zu orientieren. Der guckt auf eine Zahl und dann schreibt er ein Rezept. Es ist dem gegenüber viel aufwändiger, den Patienten zu befragen, wie es mit seiner Leistungsfähigkeit steht, ob die Belastbarkeit abgenommen hat, oder ob Atemnot besteht. Da ist es viel einfacher, den Patienten ins Labor zu schicken, ich guck mir den Wert an und geb die Spritze. Das war von den Firmen gut eingefädelt.

Ehgartner: Es wurde hier also dasselbe eingeführt, wie auch bei Cholesterin und anderen Risikofaktoren, wo ab bestimmten Grenzen Medikamente empfohlen werden.

Henke: Ja, aber es ist eigentlich intellektuelle Faulheit, wenn die Patienten nur noch nach Zahlen behandelt werden.

Ehgartner: Sie haben jetzt in einer aktuelle Studie die These geprüft, ob es eventuell an den Krebszellen EPO-Rezeptoren gibt und davon die Gefahr ausgeht.

Henke: Wir haben bei den Patienten nur dort negative Effekte von Epo gesehen, wo aktiver Krebs da war. Und nicht bei jenen, wo der Tumor komplett entfert werden konnte. Das hat zur Überlegung geführt, dass das Epo irgendwas an den Krebszellen macht. Und dann muss die Krebszelle ein Schlüsselloch haben, wo das Epo als Schlüssel wirken kann. Wir haben dann festgestellt, dass nur bestimmte Patienten einen ungünstigen Verlauf hatten, wenn sie mit Epo (Schlüssel) behandelt wurden: nämlich jene, deren Tumoren die Epo-Rezeptoren (Schlüsselloch) hatten. Wir haben also jene Patienten identifziert, denen man besser kein Epo gibt.

Ehgartner: Was waren denn die Anlässe für Nachfolgestudien? Gab es da Versuche, Ihre Ergebnisse zu widerlegen?

Henke: Ja, aber das hat nicht funktioniert. Es war schade, dass Studien abgebrochen wurden, gerade noch rechtzeitig, bevor die negativen Ergebnisse statistisch signifikant wurden. Wenn Sie eine Studie vorzeitig abbrechen, können sie noch sagen, sie sehen keinen signifikanten Unterschied. Und einige dieser Studien wurden dann auch nie publiziert und sie finden das nicht in der internationalen Medizin-Datenbank.
Dann gab es aber auch Studien, und das hat mir persönlich gut getan, die bekamen dasselbe raus, was wir fanden. Beim Mammakarzinom gabs dasselbe, ebenso bei Lungenkrebs. Das kam erst Anfang dieses Jahres raus.

Ehgartner: Ist Epo derzeit ein Hauptthema in der Onkologie?

Henke: Sicher ein wichtiges. Allerdings kommuniziert man nicht so gerne negative Ergebnisse.

Ehgartner: Es gibt nun eine Menge Fragezeichen und es würde einiger großer Studien bedürfen, um die Gefahr, aber auch die Chancen von Epo grundlegend zu klären. Experten kritisieren, dass diese Studien kaum angegangen und viel zu wenige Patienten aufgenommen werden. Mangelt es am Geld dafür?

Henke: Ja. Die Industrie hat natürlich keinerlei Interesse mehr daran, noch weitere solche Studien zu unternehmen.

Ehgartner: Ist hier die Angst spürbar, dass diese Ergebnisse sich immer mehr zu einer kommerziellen Katastrophe auswachsen könnten, wie das vor fünf Jahren bei der Hormonersatztherapie der Fall war, wo ja nach den katastrophalen Studienergebnissen binnen kurzem der Markt eingebrochen ist.

Henke: Ja. Aber ethisch ist dieses Vorgehen doch sehr bedenklich. Es wurde über Jahre gut verdient und wird immer noch gut verdient. Ich meine aber, da besteht schon eine moralische Pflicht, sich zu engagieren, den wahren Stellenwert von Epo in der Onkologie zu definieren und damit seinen Nutzen und Schaden bei der Patientenbehandlung festzulegen.

Michael Henke, 57, ist Professor an der Radiologischen Universitätsklinik in Freiburg. Schwerpunkt seiner Arbeit ist die klinische Forschung. Hier engagiert er sich insbesondere in Untersuchungen zur pharmakologischen Beeinflussung der Bestrahlungswirkung bei Krebs.

Freitag, 12. Februar 2010

Österreich beendet die Pandemie

Während die WHO sich beharrlich weigert, die Pandemiestufe 6 zurückzunehmen, ist der Hauptverband der Österr. Sozialversicherungen bereits forsch zur Tat geschritten.

Heute erreichte ein Schreiben der Ärztekammer ihre Mitglieder in dem der Hauptverband mit der Aussage zitiert wird,
 dass die Grippewelle mit 10. Februar beendet ist.

und dann folgt im Brief fett gedruckt und unterstrichen:
Deshalb endet ab sofort die für die Zeit der Grippewelle geltende Regelung für eine Tamiflu- oder Relenza-Verordnung

Die WHO ist also längst nicht mehr Meinungsführer in Sachen Pandemie - und zumindest was deren Management in Österreich betrifft - hiermit overruled.
Die ganze Welt stöhnt unter dem Joch der Pandemie - in Österreich ist sie offiziell abgeschafft.

Mittwoch, 10. Februar 2010

Schnellschuss mit Risiko

Auf Rat der Impfexperten investierte Deutschland Hunderte Millionen Euro Steuergeld in die Vorsorge gegen Schweinegrippe und das Zervix-Karzinom. Gesunde Menschen werden mit schlecht getesteten Impfstoffen gefährdet, die hoch riskante Wirkverstärker enthalten.


Manche Menschen sterben nach der Schweinegrippe, manche nach der Schweinegrippe-Impfung. Während im ersten Fall die tragischen Ereignisse dazu benützt werden, die weitere Impfbereitschaft medial anzukurbeln und die Experten betonen, wie wichtig und sinnvoll die Ausrufung der Pandemie war, ist im zweiten Fall stets Beruhigung angesagt: Fall für Fall tritt das Paul Ehrlich Insitut (PEI) zur Entlastungsoffensive an. Die Impfung stehe keinesfalls in ursächlichem Zusammenhang mit den schweren Nebenwirkungen oder den Todesfällen, ließ PEI-Sprecherin Susanne Stöcker via „Bild-Zeitung“ wissen: „Wenn nach der Impfung etwas geschieht, so heißt das nicht, dass es durch die Impfung geschieht.“
Ein Kleinkind, das nach der H1N1-Impfung mit dem Impfstoff Pandemrix einen tödlichen Lungeninfarkt erlitt, war schwer krank. Eine 65 jährige, ein 55 jähriger und ein 46 jähriger, die kurz nach der Impfung am Herzinfarkt starben, hatten zuvor schon chronische Beschwerden. Eine weitere 65 jährige war Diabetikerin, ein 66 jähriger Asthmatiker. Gelang es mal nicht, eine Vorerkrankung als Todesursache zu identifizieren, so wurde angenommen, „dass dieses Ereignis zwar ein seltenes ist, aber angesichts der Vielzahl von verabreichten Impfungen dennoch rein zufällig aufgetreten ist“.
Im umgekehrte Fall handelte es sich – auch wenn die Betroffenen ebenfalls in den meisten Fällen an chronischen Krankheiten litten – stets um Opfer der Schweinegrippe. Wären sie geimpft gewesen, so die Unterstellung, hätten sie mit ihrem Asthma oder ihrer sonstigen Organschwäche noch viele Jahre glücklich weiter gelebt.
Wilde Grippeviren sind demnach grundsätzlich böse und gefährlich, wurden diese Viren jedoch abgetötet, über Wirkverstärker biochemisch reanimiert und dann in den Muskel injiziert, so stand der gute Wille fürs Werk: da kann doch kaum etwas schief gehen.

Problematische Wirkverstärker
Weltweit wird bei der Entwicklung neuer Impfstoffe derzeit massiv der Einsatz innovativer Adjuvantien erprobt. Diese Wirkverstärker sollen auch dort eine Immunantwort provozieren, wo bislang das Impfkonzept versagte. Zu diesen Problembereichen gehört auch die Influenza. Nach den Übersichtsarbeiten der unabhängigen Cochrane-Gruppe dümpelt der Grippe-Impfstoff vom Kinder- bis zum Erwachsenenalter bei mittlerer Wirksamkeit dahin – je nachdem wie gut die Antigene im Impfstoff mit den tatsächlich zirkulieren Grippeviren überein stimmen. Bei Babys und Kleinkindern, sowie den älteren Menschen finden sich jedoch zwei schwarze Löcher der Wirksamkeit.
Novartis hat mit „Fluad“ – das mit dem Squalene-haltigen Hilfsstoff MF59 versetzt ist – bereits vor Jahren einen speziellen verstärkten Senioren-Impfstoff auf den Markt gebracht. Dieser ist nun auch im Schweinegrippe-Imfpstoff „Focetria“ enthalten. Der Konzern GlaxoSmithKline (GSK) setzte mit seinem „Adjuvans-System 03“ (AS03) bei „Pandemrix“ auf ein ähnliches Konzept.
Ich habe über intensive Recherchen versucht, Studien zu finden, in denen die Sicherheit und Verträglichkeit dieser neuartigen Adjuvantien eindeutig gezeigt wird. Die gibt es aber nicht. Beide Wirkverstärker kamen über eine in-vitro-Testphase im Labor, sowie ein paar Tierversuche unmittelbar in die Impfstoffe und werden nun bei Menschen verwendet.
Dasselbe gilt für die ebenso neuartigen Wirkverstärker, die in Gardasil und Cervarix, den beiden Impfstoffen gegen Humane Papillomaviren (HPV), verwendet werden. Hier kommen die neuartigen Aluminium-Verbindungen AS04 (Cervarix) und Gardasils AAHS („amorphous aluminum hydroxyphosphate sulfate“) zum Einsatz. Besonders originell ist der Wirkverstärker AS04. GSK setzt dabei auf das Alarmpotenzial einer Fettverbindung, die aus der Oberfläche von Salmonellen gewonnen wurde und kombiniert es mit Aluminiumhydroxid. Im direkten Vergleich mit Gardasil zeigte sich, dass AS04 tatsächlich eine explosive Kombination ist und einen um das zwei- bis sechsfach höheren Antikörper-Titer bei den Geimpften erzeugt. Das seien „exzellente Ergebnisse“ freute sich Hugues Bogaerts, der für Cervarix zuständige Produktmanager des belgischen Konzerns GSK. Ich fragte ihn nach den Sicherheits-Studien für sein neuartiges Adjuvans, das bisher noch in keinem Massen-Impfstoff eingesetzt worden ist. Seine Antwort lautete: „Eigene Sicherheitsstudien am Menschen sind bei einem neuen Adjuvans nicht vorgesehen. Das wird in den großen klinischen Studien gleich in der fertigen Impfstoff-Kombination getestet.“
Wenn man sich diese Studien ansieht, so ist das Erstaunen groß. Denn in den großen placebokontrollierten Zulassungsstudien von Gardasil und Cervarix mit ihren insgesamt mehr als 40.000 Teilnehmerinnen wurden die Impfstoffe nicht gegen "wirkliche" Placebos – das wäre im Normalfall eine physiologisch neutrale Salzwasser-Lösung – getestet, sondern gegen Pseudo-Placebos, also entweder gegen andere Aluminium-haltige Impfungen (bei Cervarix) oder gleich gegen eine pure Wasser-Aluminium-Lösung (bei Gardasil). Kritiker, wie der Aluminium-Experte Christopher Exley von der britischen Keele University finden dies fahrlässig, „weil Aluminium-Verbindungen bei zahlreichen Autoimmun-Prozessen beteiligt sind.“

Krank durch die Impfung?
Tatsächlich musste im September 2008 auf Geheiß der US-Behörde FDA in die Produktinformation von Gardasil der Hinweis aufgenommen werden, dass bei jeder 43. Teilnehmerin der Studien Krankheiten mit möglicherweise autoimmunem Hintergrund neu aufgetreten sind. In der deutschen Fachinformation ist davon nichts zu lesen.
Es ist seit langem bekannt, dass Aluminiumsalze die Immunantwort der Geimpften „in eine allergische Richtung“ manipulieren. Aber auch die Art der Immunreaktion kann – speziell bei genetischer Empfänglichkeit – dauerhaft verändert werden. Daraus resultiert die Gefahr, dass das Immunsystem auf nachfolgende Infekte falsch reagiert – und ansonsten harmlose Viren plötzlich mit einer überschießenden Immunreaktion beantwortet werden, die in den betroffenen Organen schweren Schaden anrichtet. Ebenfalls ist bekannt, dass jede Impfung auch Auto-Antikörper erzeugt, die an körpereigenes Gewebe binden und dieses in der Folge für die Fresszellen des Immunsystems als Angriffsziele markieren. Im Normalfall sollten diese fehlgesteuerten Antikörper, sowie auch T-Zellen mit autoimmuner Ausrichtung von den körperinternen Kontroll-Mechanismen erkannt und beseitigt werden. Doch diese Entwicklung kann außer Kontrolle geraten.
Normalerweise sollten bei Impfungen, die im Normalfall eine vorbeugende medizinischen Intervention bei Gesunden darstellen - die allerhöchsten Sicherheits-Kriterien gelten. Doch irgend eine Schraube setzt hier im ansonsten so sehr auf Kontrolle und Risiko-Minimierung bedachten behördlichen Apparat aus. Möglicherweise ist es das über historische Verdienste wie die Ausrottung der Pocken erworbene gute Image, das hier die Impfungen unter eine Art schützende Käseglocke stellt.
Dabei war gerade das Impfen traditionell immer eine eher intuitive Maßnahme, denn eine wissenschaftliche. Wir haben schon gegen virale Krankheiten geimpft, als man noch nicht mal wusste, dass es Viren gibt. Und wir haben dauerhaft ins Immunsystem eingegriffen, als vom Immunsystem noch nicht einmal die Spitze des Eisbergs aufgetaucht war und so gut wie gar nichts von den näheren biologischen Mechanismen verstanden wurde, die hier ablaufen. Allein die Tatsache, dass wir uns heute inmitten einer tatsächlichen Pandemie der Krankheiten des Immunsystems befinden, wie die ständig steigenden Zahlen bei Asthma, Diabetes Typ 1, chronisch entzündlichen Darmerkrankungen oder rheumatoider Arthritis zeigen, sollte uns sehr skeptisch machen.

Autoimmunkrankheiten: erste Schritte zum Verständnis
Was bei der Entstehung von Autoimmunkrankheiten im Organismus konkret abläuft, steht erst seit sehr kurzer Zeit im Fokus der wissenschaftlichen Forschung. Wobei sich die weitaus meisten Arbeiten weniger mit den Ursachen befassen, denn mit der Linderung der Symptome. Neue Arzneimittel gegen Rheuma oder Multiple Sklerose gehören zu den internationalen Bestsellern am Pharmamarkt. Mit der Ursachenforschung ist weniger zu verdienen und möglicherweise stehen wir auch deshalb beim Verständnis noch weitgehend in den Kinderschuhen. Erst 2005 erschien beispielsweise die erste Arbeit (Harrington et al.), die mit der so genannten Th17-Reaktion einen zentralen Schlüsselfaktor im Autoimmunprozess identifizierte. Hier wird – vor allem im Zusammenspiel mit regulatorischen T-Zellen auf der besänftigenden, sowie Interleukin 6 auf der aggressiven Seite – festgelegt, ob sich das Immunsystem in seiner Antwort tolerant oder autoaggressiv verhält.
Es trägt nicht eben zu Beruhigung bei, wenn man weiß, dass viele Adjuvantien speziell die Produktion von Interleukin 6 ankurbeln, wie dies beispielsweise eine vom Hersteller selbst finanzierte Studie zum Novarits Adjuvans MF59 eindrucksvoll belegte (Valensi et al.). Diese ist allerdings bereits 1994 publiziert worden, zu einem Zeitpunkt, wo die Th17-Reaktion noch vollständig unbekannt war.
Der MF59 haltige Grippe-Imfpstoff Fluad wurde bereits millionenfach an ältere Menschen verimpft. Ohne vorherige Sicherheitsstudien, die über dessen autoimmunes Potenzial Aufschluss gaben. Nun wird damit argumentiert, dass er eben deshalb sicher ist, weil es schon so oft verimpft wurde und bisher keine auffällige Häufung von Nebenwirkungs-Meldungen beim Paul Ehrlich Institut registriert wurde. Wer jedoch meint, dass die Behörden davon erfahren würden, wenn ein geimpfter Rentner drei Monate nach der Fluad-Injektion einen Rheumaschub bekommt, überschätzt das Meldewesen enorm.  – Hier geht die Wahrscheinlichkeit praktisch gegen Null. Sobald eine Impfung einmal am Markt ist, muss sich schon etwas ziemlich Auffälliges ereignen, damit das von den Behörden registriert würde.
„Die Ärzte, die gesetzlich verpflichtet sind, diese Meldungen zu machen, wissen ja zum Großteil überhaupt nicht, dass Impfungen überhaupt Autoimmunreaktionen auslösen können“, sagt der Wiesbadener Mediziner Klaus Hartmann, der zehn Jahre beim Paul Ehrlich Institut für die Bewertung von Impfschäden zuständig war und nunmehr als gerichtlicher Impfschadens-Gutachter tätig ist. „Damit die Ärzte melden, müsste man diese erst mal intensiv informieren und an ihre Meldepflicht erinnern. Doch das ist gar nicht erwünscht.“
Squalen-haltige Adjuvantien werden sogar dazu verwendet, um Tiermodelle für bestimmte Autoimmunkrankheiten zu erzeugen. Barbro C. Carlson zeigte mit einem Team von Rheuma-Experten des schwedischen Karolinska Instituts beispielsweise, dass eine einzige Injektion von Squalen unter die Haut bei Ratten chronische Gelenksentzündungen auslösen kann (Carlson 2000). Damit zu beruhigen, dass die Dosis das Gift macht und in den Impfungen für Menschen ja wesentlich niedrigere Squalen-Dosierungen enthalten sind, halte ich in Abwesenheit jeglicher Evidenz für verantwortungslos.
 Zumal es immer individuelle Empfänglichkeit gibt, wo dann auch eine niedrige Dosierung zum Problem werden kann.

"Unkontrollierter Menschenversuch"
Als „unkontrollierten Menschenversuch“ bezeichnete auch Wolfgang Becker-Brüser, Herausgeber des arznei-telegramm die zurückliegenden Impfaktionen. Scheinbar werde versucht über die Massenanwendung der Squalen-haltigen impfstoffe Fakten zu schaffen, um dann – nach demselben Muster wie bei „Fluad“ – mit deren Verträglichkeit und Sicherheit argumentieren zu können. Die US-Gesundheitsbehörden sind diesbezüglich deutlich strenger als die Behörden der EU. Dort sind bislang nur herkömmlich – ohne Wirkverstärker – hergestellte Schweinegrippe-Imfpstoffe am Markt.
Warum bei einer Influenza die milder verläuft als in vielen anderen Saisonen überhaupt die Pandemie ausgerufen wurde, hat viel mit der Entwicklung der Weltgesundheits-Organisation (WHO) zu tun, die in den letzten Jahrzehnten sehr stark unter einem Zwang zum gesundheitspolitischen Aktionismus laboriert und sich immer mehr als globale Seuchenpolizei versteht. Angesichts von Malaria, Tuberkulose und Durchfall-Krankheiten, die vor allem in den Entwicklungsländern jährlich Abermillionen an Todesfälle verursachen, wundern sich viele Experten über die enorme Bedeutung, welche die WHO vergleichsweise harmlosen Erregern wie den Influenzaviren zumisst. Dazu kommt eine Budgetstruktur, die zunehmend von "Private-Public Partnerships" dominiert ist. Durch die Etablierung dieser Industrie-Partnerschaften wuchs der Anteil der „gespendeten“ finanziellen Mittel am WHO Haushalt im letzten Jahrzehnt überproportional. Lag das Verhältnis 1998 bei einem Verhältnis von 842 Millionen US Dollar regulärem Haushalt zu 804 Spendermillionen noch halbwegs ausgeglichen, so betrugen die privaten Zuwendungen bereits 2004 mehr als das doppelte des regulären Haushaltes. Und damit stand den Vertretern der Industrie Tür und Tor offen. Bei allen Besprechungen zur Pandemie waren – wie selbstverständlich – auch die Impfstoff-Hersteller geladen.
Es ist kein allzu gewagter Schluss, dass die H1N1 Pandemie von WHO und Impfstoff-Herstellern als eine Art "Feuerwehrübung" für den theoretischen Ernstfall einer wirklich verheerenden Influenza-Pandemie inszeniert wurde. Andernfalls wären ja auch die vielen Millionen, die anlässlich der Vogelgrippe (H5N1) in die Entwicklung pandemischer Impfstoffe gesteckt wurden, fehlinvestiert gewesen. Es wurde demnach – so meine Einschätzung – das nächstbeste Influenzavirus genommen, das kam, um die Tauglichkeit der Infrastruktur zur raschen Herstellung der Impfstoffe zu testen.
Die Frage der Sicherheit wird von der Industrie hingegen weder bei den Schweinegrippe, noch bei den HPV-Impfstoffen freiwillig geklärt werden. Hier bräuchte es endlich Druck der Öffentlichkeit auf die Gesundheitspolitik und damit auf die zuständigen Behörden. Es bräuchte endlich öffentlich finanzierte unabhängige Studien, um die Rolle der Wirkverstärker in Impfungen wissenschaftlich zu klären. Und vielleicht käme damit auch endlich Licht in die einzige derzeit wirklich grassierende ernsthafte  Pandemie – nämlich die Flut an Allergien und Autoimmunkrankheiten die bereits ein Drittel der Bevölkerung in den Industrieländern erfasst hat.

Dieser Artikel erschien als Coverstory in der aktuellen Ausgabe des Magazins Paracelsus.

Dienstag, 9. Februar 2010

US-Pharma "inspirierte" Sawicki's Ende

PhRMA nennt sich die „Vereinigung der Forschenden und Produzierenden Pharmaindustrie der USA“ ("Pharmaceutical Research and Manufacturers of America"). Sie publiziert jährlich ein umfangreiches Papier, in dem über die diversen Hemmnisse berichtet wird, die den Interessen der PhRMA schaden. Unter anderem findet sich darin eine „Prioritiy Watch List“ von Staaten, welche Patente verletzen, den Marktzugang für innovative Produkte beschränken oder deren Institutionen billige Generika gegenüber den Original-Medikamenten bevorzugen.

Nach 2008 hat es Deutschland auch 2009 wieder geschafft, in dieser Pharma-Liste im oberen Rang der PhRMA-Feinde genannt zu werden. Während Österreich beispielsweise nur auf der gewöhnlichen „Watch List“ steht, gilt für Deutschland die Einstufung als „Priority“-Schurkenstaat.

Was die PhRMA hier zusammen trägt, gilt als Vorschlag für das Büro des US Trade Representatives (USTR), das dann die offizielle Watch-List fest legt. Seit 1974 wird dieser schöne Brauch gepflegt, um das "intellektuelle Eigentum" US-amerikanischer Interessen international zu schützen. Zur Umsetzung dient ein Gesetz, das zuletzt im Oktober 2008 vom scheidenden Präsident Georg W. Bush noch einmal erweitert und verschärft wurde: den so genannten „International Intellectual Property Protection and Enforcement Act of 2008“. Das Gesetz erlaubt es dem globalen Supercop USA, weltweit gegen den Diebstahl oder die Gefährdung geistigen Eigentums vorzugehen. Aufgabe des „US Trade Representatives“ ist es, Aktionspläne zu entwerfen, die den Ländern auf der „Priority Watch List“ entsprechende Handlungen zum Abbau der Missstände vorschreiben. Gleichzeitig wird die USA durch das Gesetz ermächtigt, mit Zwangsmaßnahmen gegen diese Länder vorzugehen, wenn die Korrekturen nicht weisungsgemäß vorgenommen werden.

Im März 2009 entschied die Obama-Administration, gegen den Antrag der PhRMA, Deutschland offiziell auf diese „Priority Watch List“ zu setzen.
Hinter den Kulissen wurde aber ordentlich verhandelt. Dies wird im Pharma-Papier auch konkret beschrieben. Die Gespräche hatten den Zweck,

…to address concerns and encourage a common understanding between developed countries on questions related to innovation in the pharmaceutical sector.
Immerhin ging es ja um einiges:
 Germany’s approach to regulating innovative products represents a substantial impediment to innovation in one of the biggest and most developed pharmaceutical markets in the world

Als besonderer Stein des Anstoßes galt den Amerikanern offenbar das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG). In den fünf Seiten, die die PhRMA Deutschland widmet, wird das IQWiG einundzwanzig Mal erwähnt. Und das kein einziges mal lobend.
Mehrere (allerdings anonym bleibende) Quellen berichten mir, dass die Deutsche Regierung von den Vertretern der US-Wirtschaft massiv unter Druck gesetzt wurde, um den Wünschen der PhRMA nach Änderungen - vor allem im IQWiG nach zu kommen.

Dass dies auf deutscher Seite nicht ohne Wirkung blieb, zeigt die Reaktion der deutschen Wirtschaftsminister, die bei ihrer gemeinsamen Konferenz vom 18. zum 19. Juni 2009 in Potsdam unter anderem die „Kosten- und Nutzenbewertung von Arzneimitteln" diskutierten. In seiner damaligen Funktion als Wirtschaftsminister von Niedersachsen war übrigens der jetzige FDP Gesundheitsminister Philipp Rösler einer der Unterzeichner das Abschlusspapiers.

Hier im einzelnen die Positionen der US-PhRMA und die erstaunlich synchronen Erkenntnisse der deutschen Wirtschaftsminister

PhRMA-Papier:
Market access barriers that undermine the value and benefit of pharmaceutical patents are the greatest concern for PhRMA members operating in Germany.
Wirtschaftsminister:
Die Wirtschaftsministerkonferenz sieht mit Sorge, dass das bisherige Vorgehen des IQWiG zu erheblicher Verunsicherung in der pharmazeutischen Industrie geführt hat.

PhRMA:
Germany maintains several measures that discriminate against innovative pharmaceutical products as compared to generic products, thereby denying fair and equitable market access to U.S. interests …
Cost benefit evaluations will be implemented and executed by IQWiG. Recent decision making by IQWiG has shown extremely poor performance due to lack of transparency of process and no recognition of international health technology assessment protocol or studies developed by companies.
Wirtschaftsminister:
Nach Auffassung der Wirtschaftsministerkonferenz genügt die vom Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) vorgeschlagene Methodik zur Kosten-Nutzen-Bewertung von Arzneimitteln den Anforderungen … nicht. Außerdem wird sie weder dem Ziel einer effizienten Versorgung mit innovativen Arzneimitteln gerecht noch ist sie volkswirtschaftlich hinnehmbar.

PhRMA:
PhRMA is encouraged by actions taken by the German Ministry of Health in terms of moving towards greater transparency in IQWiG’s operations, as well as greater patient access to information. However, these actions have led to few concrete improvements in the German market.
Wirtschaftsminister:
Die Bundesregierung wird gebeten, die Anregungen der Wirtschaftsministerkonferenz in ihre weiteren Überlegungen mit einzubeziehen und verstärkt beim IQWiG auf die Berücksichtigung der geäußerten Kritik hinzuwirken.

Vergleichsweise simpel, in der Sache aber ebenso entschlossen klingen im Vergleich die Argumente der "AG Gesundheit" der CDU/CSU Bundestagsfraktion:
„Wir schlagen vor, die Arbeit des IQWiG als Dienstleister im Gesundheitswesen neu zu ordnen. Entscheidend für die Akzeptanz für die Arbeit des IQWiG bei Patienten, Leistungserbringern und Herstellern sind eine stringente wissenschaftliche Nachvollziehbarkeit und das höchstmögliche Maß an Transparenz bei allen Entscheidungen. Diese Neuausrichtung muss sich auch an der personellen Spitze des Hauses niederschlagen.“

Die maßgeblichen Gesundheitspolitiker der Koalition waren sich also einig, dass Peter Sawicki für die Freunde aus Übersee, ebenso wie für die heimische Pharmaindustrie nicht mehr tragbar ist - und dass es Zeit wurde, beim IQWiG die Zügel fester anzuziehen.

Bloß kann man das ja nicht in der Öffentlichkeit so rund heraus verkünden.

Wie es in der Folge weiter ging?

Die Wirtschaftsminister, die Pharmaindustrie, die CDU/CSU-Abgeordneten, der Gesundheitsminister Rösler, sie alle hatten bekanntlich großes Glück:
Denn wie durch ein Wunder fanden sich bei einer internen Prüfung (die von Sawicki selbst eingeleitet wurde) in den Finanzen des Institutsleiters einige Posten, die gegen diesen verwendet werden konnten. So etwa zwei Tankstellen-Belege auf denen auch jeweils ein Kanister Rasenmäher-Benzin mit drauf stand: Der Sachschaden machte immerhin 25,10 Euro aus.

Rasenmäher sei Dank, so jemand ist selbstverständlich für eine seriöse Gesundheitspolitik in Deutschland untragbar.

Montag, 8. Februar 2010

"Die Kostenspirale steigt ins Unbezahlbare"

Der deutsche Krebsmediziner Wolf-Dieter Ludwig über die Unzahl neuer teurer Wirkstoffe in der Onkologie und deren oft recht zweifelhaften Nutzen für die Patienten




In den letzten Jahren ist bei Krebs häufig von einer „zielgerichteten“ bzw. „targeted Therapy“ die Rede. Die Medizin versucht demnach, eine passgenau auf den jeweiligen Patienten abgestimmte High-Tech-Medizin zu praktizieren. Erfüllt dieser Ansatz seine Versprechen?


Ludwig: Das wird derzeit noch mehr als Marketing-Begriff eingesetzt denn als wissenschaftlich fundierte neue Therapierichtung. Unbestreitbar ist, dass durch die Fortschritte in der Grundlagenforschung Zielstrukturen und Signalwege in Tumorzellen erkannt wurden, die für das bösartige Wachstum relevant sind. Das ist ein Riesenfortschritt. Aber daraus zu schlussfolgern, dass wir heute damit auch nur annähernd verstehen, welche Bedeutung diese Zielstrukturen und Signalwege für das Tumorwachstum einer Zelle haben und dass wir durch „zielgerichtete“ Therapiestrategien in einem signifikant höheren Prozentsatz Heilung erreichen können, das trifft definitiv nicht zu.

Die Kosten der neuen Therapien reichen bis zu 100.000 Euro pro Patient – was bekommen Sie dafür?

Ludwig: Die vorliegenden Ergebnisse aus klinischen Studien zeigen, dass es bisher nur sehr wenige Durchbrüche gegeben hat und der eigentliche Effekt vor allem darin besteht, dass sich die Kostenspirale in der Krebsmedizin in den nächsten Jahren ins Unbezahlbare steigern wird. Wir müssen deshalb ganz genau prüfen, welche dieser neuen Therapieformen den Patienten auch tatsächlich nützen. Häufig wird suggeriert, das seien Wirkstoffe mit weniger unerwünschten Arzneimittelwirkungen. Das trifft jedoch nicht zu. Sie haben natürlich auch unerwünschte Wirkungen, weil sie z.B. zelluläre Signalwege beeinflussen, die nicht nur in Tumorzellen  sondern auch in normalen Zellen ablaufen. Die neuen Therapien erzeugen häufig andere unerwünschte Wirkungen als herkömmliche Chemotherapien, aber diese können die Lebensqualität der Patienten auch stark beeinträchtigen und selten auch lebensbedrohlich sein.

Stimmt der Eindruck, dass die klassischen Chemotherapien stark an Bedeutung verlieren?

Ludwig: Aus der Sicht des klinisch tätigen Onkologen ist das eine Behauptung, für die wissenschaftlich fundierte Erkenntnisse aus großen klinischen Studien fehlen. Zytostatika haben nach wie vor einen hohen Stellenwert, weil ja die neuen Wirkstoffe meist nicht alleine sondern nur in Kombination mit den herkömmlichen Therapien wirksam sind. Die Industrie investiert in die Neuentwicklung besser wirksamer oder verträglicher Zytostatika allerdings wesentlich weniger Geld als in die Entwicklung von Biopharmazeutika (z.B. monoklonale Antikörper) oder sog. „small molecules“, weil die Preise, die für Zytostatika verlangt werden können, im Vergleich zu den neuen Wirkstoffen deutlich niedriger sind. Imatinib, ein „small molecule“ , das für recht seltene Krebsarten eingesetzt wird, hat beispielsweise heute etwa 50% des Umsatzvolmens aller ambulant verordneten Zytostatika.

Kann man als Onkologe eigentlich noch den Überblick bewahren bei der Unzahl an neuen Krebs-Medikamenten?

Ludwig: Eigentlich nicht. In den nächsten 5 Jahren kommen auf uns noch weitere 30 bis 50 neue Wirkstoffe zu. Zusätzlich zu jenen, die in den letzten Jahren zugelassen wurden – und über deren Wirksamkeit, Sicherheit und vor allen Dingen Zusatznutzen gegenüber den herkömmlichen Therapieoptionen wir häufig auch noch herzlich wenig wissen. Wir brauchen unbedingt zum Zeitpunkt der Zulassung neuer Wirkstoffe in der Onkologie unabhängige Informationsquellen, wann ein Arzneimittel eingesetzt werden soll und wann nicht. Aus den fast ausschließlich Industrie-finanzierten Zulassungsstudien ist das schwer abzuleiten. Deshalb sind auch nach Zulassung unabhängig von der Industrie finanzierte und geplante klinische Studien so wichtig, da nur in ihnen die versorgungsrelevanten Fragen untersucht und auch beantwortet werden können.

Aber auch diese Studien müssen doch ein strenges Prozedere erfüllen. Grenzt es nicht an Pharma-Bashing, wenn man diese Arbeiten immer gleich in den Geruch von Fälschung oder Beschönigung bringt?

Ludwig: Wir haben gerade in einer systematischen Übersichtsarbeit der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft den Einfluss der Finanzierung auf die Ergebnisse klinischer Studien untersucht. Auf den ersten Blick hat man den Eindruck, dass die Qualität der Industrie-gesponserten Arbeiten nicht schlechter ist als jene, die unabhängig finanziert wurden. Im Detail zeigen sich aber erhebliche Mängel im Design und der Auswertung, welche die Industrie in die Lage versetzen, mit diesen Studien fast immer ein Ergebnis zu erzeugen, das einen Vorteil für das eigene Mittel belegt. Die Sponsoren haben über viele Mechanismen die Möglichkeit, Studien zu beeinflussen. Erinnert sei nur an den Publication Bias, d.h. das bevorzugte Publizieren von Studien mit positiven Resultaten.

In den USA wurde von den Behörden kürzlich ein neues Tumormedikament zugelassen, das mit Behandlungskosten von 30.000 Dollar pro Monat wieder einen neuen Rekord aufstellt. Die Studien zeigten, dass durch das Mittel die Tumoren vorübergehend schrumpfen– eine Lebensverlängerung ist aber gar nicht erwiesen.

Ludwig: Das kann man fast pauschal sagen: Viele neue Wirkstoffe können ausschließlich das Fortschreiten der Tumorerkrankung um wenige Wochen bis Monate verzögern, das Überleben aber nicht – oder nur minimal – günstig beeinflussen. Das bewegt sich fast immer im Bereich von wenigen Tagen bis wenigen Monaten.

Aber ist nicht auch ein vorübergehender Stopp des Tumorwachstums von Vorteil?

Ludwig: Natürlich wäre das sinnvoll, wenn die Krebspatienten in dieser Zeit gleichzeitig eine bessere Lebensqualität hätten und die Symptome ihrer Krebserkrankung reduziert würden. Dies wird in klinischen Studien aber meist gar nicht oder unzureichend untersucht. Man guckt nach progressionsfreiem Überleben – und dann werden die Mittel zugelassen. Wir wollen aber wissen, ob die Patienten, in den leider häufig nur wenigen Monaten, die ihnen noch bleiben, eine bessere Lebensqualität haben, oder ob damit eine weniger toxische Therapie möglich ist, so dass die Patienten bei dem marginalen Überlebensvorteil zumindest auf Umwegen von diesen Wirkstoffen profitieren.

Man hat bei der Preisgestaltung dieser neuen Wirkstoffe den Eindruck, dass hier aus der Nähe zum Tod Kapital geschlagen wird.

Ludwig: Wenn medikamentöse Alternativen fehlen und es keine oder wenig Konkurrenz gibt, sind die Preise auffällig hoch und gehen in die Größenordnung von 60 - 80.000 Euro pro Patient und Jahr. Man kann den Herstellern sicherlich zum Vorwurf machen, dass sie an der Preisspirale drehen, ohne eindeutig zu zeigen, dass damit ein Nutzengewinn für die Patienten vorhanden ist. Aber andererseits ist es ja unser System, das sich erpressen lässt. Das Gesundheitssystem setzt nicht die geeigneten Instrumente ein, um den Patienten das zu sichern, was sie tatsächlich benötigen, und gleichzeitig das System finanzierbar zu halten.

In den Wochen vor dem Sterben werden so viele Ressourcen eingesetzt, wie davor im ganzen Leben des Sterbenden. Wollen die Patienten und deren Angehörige den maximalen Einsatz, oder geschieht dies auf Initiative des Medizinbetriebes?

Ludwig: Ich bin jetzt seit etwa 30 Jahren als Onkologe klinisch tätig und ich hatte immer ein viel besseres Gefühl, wenn ich einen Patienten mit einer vorbehandelten, weit fortgeschrittenen Tumorerkrankung im Gespräch davon überzeugen kann, dass z.B. Dritt- oder Viertlinien- Therapien häufig keinen Sinn machen, dass sie ihn mitunter an das Krankenhaus binden, und dass sie ihm nicht die Chance geben, Dinge zu regeln, die vielleicht lebensnotwendiger sind, als eine weitere Chemotherapie. Auch die Dankbarkeit des Patienten und der Angehörigen ist häufig viel größer, als wenn ich in einer ausweglosen Situation wieder eine neue Therapie beginne und dadurch auch dem intensiven, persönlichen Gespräch ausweiche.

Von Seiten der Industrie gibt es wüste Repliken, wenn die schlechte Wirksamkeit mancher Arzneimittel behauptet wird. Immerhin sei es ja beispielsweise gelungen, kindliche Leukämien zu heilen.

Ludwig: Solche Behauptungen entbehren jeder Unterlage, weil gerade diese enormen Fortschritte ja nicht von der pharmazeutischen Industrie kommen. Die meisten in der Behandlung kindlicher Leukämien verwendeten Arzneimittel sind mehr als 40 Jahre alt. Ihr Einsatz im Rahmen risikoadaptierter Therapiestrategien wurde von engagierten Kinderärzten so optimiert, dass die Fortschritte möglich waren. Die neuen Arzneimittel, von denen wir unter dem Begriff der „zielgerichteten“ Therapie reden, haben daran gar keinen Beitrag.

Welches der neuen Arzneimittel stellt für Sie einen wirklichen Meilenstein in der Krebstherapie dar?

Ludwig: Eine der wenigen neuen Wirkstoffe, die wirklich einen echten Durchbruch darstellt, ist Imatinib (Handelsname: Glivec) zur Behandlung der Chronischen Myeloischen Leukämie (CML) und anderer seltener Tumore. Die Überlebenszeit der CML betrug früher im Durchschnitt ca. 3-5 Jahre und die Erkrankung konnte nur durch eine allogene Stammzelltransplantation geheilt werden. In den Tumorzellen der CML findet sich eine spezifische genetische Veränderung, deren Konsequenzen für die Zellen von Imatinib gezielt verhindert werden können. Bei soliden Tumoren wie Darmkrebs oder dem Bauchspeicheldrüsenkrebs haben wir dagegen häufig zehn bis zwölf unterschiedliche Signalwege, die infolge der bösartigen Entartung der Zellen verändert sind. Diese können wir gar nicht gezielt attackieren, weil wir nicht genau wissen, welcher Signalweg entscheidend für das bösartige Wachstum der Zelle ist. Ein weiteres Beispiel für einen erfolgreichen neuen Wirkstoff ist Trastuzumab (Handelsname: Herceptin), der bei bestimmten Formen des Brustkrebses ohne Zweifel die Therapiergebnisse verbessern konnte. Weitere monoklonale Antikörper, wie Rituximab (Handelsname: MabThera) oder Bevacizumab (Handelsname: Avastin), haben auch einen gewissen – im Vergleich zu Imatinib aber deutlich geringeren – Nutzen in der Behandlung maligner Lymphome oder von Darmkrebs. Die von der Herstellerfirma Roche derzeit verfolgte Marketingstrategie, Avastin als Pan-Tumormedikament anzupreisen, empfinde ich jedoch als skandalös. Denn bei vielen Anwendungsgebieten, für die der Antikörper kürzlich zugelassen wurde (z.B. Brust-, Nierenzellkrebs), ist unklar, ob wirklich Patienten davon profitieren.

Der Onkologe Wolf-Dieter Ludwig, 57, ist Vorsitzender der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft und Chefarzt der Robert-Rössle-Klinik am Helios Klinikum Berlin-Buch. Ende Januar hielt er im Haus der Gesellschaft der Ärzte in Wien einen Vortrag über „Teure Innovationen in der Onkologie“.
Dies ist die Langversion eines Interviews, das in der aktuellen Ausgabe des österr. Nachrichtenmagazins profil im Rahmen der Titelgeschichte "Therapie zum Tod - Schlussbilanz" erschienen ist.

Mittwoch, 3. Februar 2010

Hart aber fair: Zum Rauswurf von Sawicki

Bereits vor Weihnachten sickerte durch, dass die schwarz-gelbe Regierung keine weitere Amtszeit von Peter Sawicki, dem Leiter des Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) dulden würde.
Beschämend war die Art, wie dies dann in der Öffentlichkeit kommuniziert wurde. Anstatt wahrheitsgemäß den heftigen Druck der heimischen und der US-Pharmaindustrie als Hauptargument für die Ablöse Sawickis zu nennen, wurden der FAZ Details eines Prüfberichtes zugespielt und Sawicki in der Folge als Spesenritter denunziert, der sogar seinen Rasenmäher-Benzin (zwei Rechnungen über zusammen 25,10 Euro!) über das Institut abrechnet.
In der WDR-Sendung "hart aber fair" gab Sawicki ein längeres Interview dazu - im Studio kam es zu einem heftigen Schlagabtausch. Wirklich interessant: Hier im webTV anzusehen.