Mittwoch, 13. April 2011

Die Wurzel des Aberglaubens

Abgläubisches Verhalten findet sich bereits bei Tieren und lebt in Menschen als stammesgeschichtliches Relikt fort.

„Wenn Tiere einen gefährlichen Wildwechsel überqueren, wo häufig Raubtiere lauern, so laufen sie beim ersten Mal einen zufälligen Weg“, erklärt der Biologe Rainer Wolf vom Biozentrum der Universität Würzburg. „Wenn alles gut geht, so werden sie bei jedem weiteren Mal exakt denselben Pfad nehmen, so willkürlich der Weg beim ersten Mal auch gewählt worden sein mag.“ Allein die Tatsache, dass sie die gefährliche Passage lebend überstanden haben, prägt sich so intensiv ein, dass den Tieren jedes Detail haften bleibt.


Berühmt wurde in diesem Sinne Konrad Lorenz Wildgans Martina. Im Winter richtete der Verhaltensforscher für das auf ihn als „Gänsemutter“ geprägte Tier ein Zimmer in seinem Haus ein. Er lockte die Gans, diese zögerte voller Angst, in das ihr unheimliche Haus zu gehen, schließlich fügte sie sich doch. Im finsteren Flur hatte sie jedoch übersehen, dass Konrad Lorenz gleich nach der Tür über die Stiege in den ersten Stock gegangen war und lief zunächst ein Stück gerade aus. Erst als Lorenz von oben rief, machte sie kehrt und watschelte die Treppe hinauf. „Ab diesem Zeitpunkt“, berichtete Lorenz, „machte Martina jedesmal, wenn sie abends in ihr Zimmer ging, die Spitzkehre im Flur mit.“ Als Lorenz die Gans einmal recht spät ins Haus ließ, vergaß Martina den rituell eingeschliffenen Umweg und ging direkt die Treppe hinauf. „Oben angelangt“, erinnerte sich Lorenz, „legte sie plötzlich die Flügel eng an, stieß mit ausgestrecktem Hals einen Schreckensruf aus und rannte die Stufen wieder hinunter – um unter allen Anzeichen von Angst die Spitzkehre nachzuholen.“ Wieder im Obergeschoß angekommen, stieß sie dann einen erleichterten Lockruf aus: es war noch einmal gut gegangen.
Der Biologe Wolf hat sich auf die Erforschung des Phänomens der Selbsttäuschung spezialisiert. Sperrt man Tauben in einen Käfig, in den zufallsgesteuert Nahrungskörner fallen, erklärt er, fände man bald jedes Tier in einer bestimmten eigenartigen Haltung oder Tätigkeit. Sie machen genau das, was sie beim Fallen der ersten Körner zufällig taten. „Ganz offensichtlich sind Tauben der Meinung, dass sie mit diesem Verhalten erreichen können, dass noch weitere Körner fallen.“
Ähnliche Muster leben laut Wolf auch beim Menschen noch als stammesgeschichtliches Relikt fort. „Wenn zwei Prozesse hintereinander ablaufen, so vermuten wir instinktiv, dass der erste den zweiten ausgelöst hat.“ Und wie bei den Tieren, sagt Wolf, funktioniert der Effekt am besten, wenn wir Angst haben. „Die Medizin ist demnach prädestiniert für Aberglauben.“

Dieser Text erschien als Teil der dieswöchigen Titelgeschichte des Nachrichtenmagazins profil zum Thema "Homöopathie".

2 Kommentare:

  1. Aus meiner Sicht drei unvergleichliche Beispiele ohne Zusammenhang.

    Bei der Ente spielt ein "Angsterlebnis" eine zentrale Rolle, ihr Verhalten begründet sich somit nicht unbedingt auf Glauben, sondern auf eine Art Psychose.

    Die Tiere aus freier Wildbahn handeln im Gegensatz dazu logisch. Der willkürlich gegangene Weg war nur beim ersten Mal unbekannt. Danach ist es ein Weg mit bekannter Länge, Risiken usw.
    Das bekannte Risiken unbekannten vorgezogen werden hat auch wenig mit dem Glauben zu tun, dass die Tiere diesen Weg für den besten halten, sondern es ist rein taktisches Verhalten. Sie gehen diesen Weg (vermutlich mit dem Wissen, dass es auch bessere gibt) weil sich der Weg bewährt hat, und sie kein überflüssiges Risiko eingehen wollen.

    Das entspricht auch dem Verhalten des Menschen, dass er bei seinen Gewohnheiten bleibt, statt Experimente zu wagen, solange die Lebensweise ihren Zweck erfüllt. Aberglauben? Fehlinterpretation!!

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