Dienstag, 3. Mai 2011

"Ein schöner Körper ist Luxus"

Die Wiener Motivforscherin Helene Karmasin über die gesellschaftlichen Vorgaben, was schön und was hässlich ist.


Ehgartner: Wie lässt sich Schönheit definieren?

Karmasin: Vor allem als eine Frage der Zeit mit ihren wechselnden Vorgaben. Wenn wir heute Bilder des Fernsehballetts aus den Sechziger Jahren sehen, haben wir den Eindruck, dass die Tänzerinnen alle ein bisschen pummelig sind und dass sie dringend eine Kur gegen Cellulitis notwendig hätten. Zu ihrer Zeit waren sie aber perfekte Schönheiten. Oder nehmen wir den üppigen Busen von Jayne Mansfield auf dem Titelblatt meines Buches. Für eine Dame des Mittelalters wäre das ein Desaster gewesen und sie hätte alles getan um ihn zu verstecken um nicht wie eine sozial tiefrangige Amme zu erscheinen.

Ehgartner: Warum hat sich das Ideal in unserer Zeit so sehr in Richtung eines schlanken Körpers mit makelloser Haut verändert?

Karmasin: Was schön ist, hängt von den Leitwerten ab, die eine Gesellschaft vermitteln möchte. Die Gesellschaft schreibt ihre Leitwerte in das Ideal eines schönen Körpers ein. Es gibt kein besseres Objekt, an dem eine Gesellschaft den einzelnen Mitgliedern demonstrieren kann: Das ist uns wichtig und das verlangen wir von dir. Die Werte, die heute geübt werden sollen sind Disziplinierung, Selbstverantwortlichkeit und Leistungsbereitschaft.

Ehgartner: Daher auch der Kampf gegen das Fett?

Karmasin: Das gleicht einem Kreuzzug. Jedes Gramm Fett muss geächtet werden. Das hat etwas mit Puritanismus zu tun: Wer die Gelüste des Körpers besiegt, demonstriert quasi die Gnade Gottes und ist ein moralisch hochwertiges Mitglied der Gesellschaft. Deshalb werden die fetten Körper auch verfolgt, sie spielen die Rolle von Sündern und machen die Norm deutlich. Der Staat greift ein, indem es etwa heißt: das ist ja auch ungesund. Niemand freut sich, wenn er fett ist und schickt ein SMS: „Hurra, schon wieder ein Kilo zugenommen.“ Die Leute schämen sich stattdessen, weil sie dem Ideal der Gesellschaft nicht genügen.

Ehgartner: Und es gibt riesige Märkte, die diesen Körper formen helfen.

Karmasin: Wir leben eben in einer Marktgesellschaft und ein schöner, perfekter Körper ist ein ideales Objekt. Denn etwas an einem Körper ist immer zu verbessern. Und was bereits schön ist, lässt sich noch optimieren. Sie können für alles Vorsorge treffen. Sie können alles korrigieren, man braucht nur die Maßstäbe immer höher schrauben. Dann gibt es natürlich Leute, die versündigen sich. Dann kriegen sie Diäten und Cellulite-Roller. Das ist ein perfektes Geschäftsmodell.

Ehgartner: Wer übt denn konkret Druck aus?

Karmasin: Das beginnt schon in der Schule: Fette Kinder werden gemobbt. Dicke bekommen schlechter eine Wohnung, schlechtere Jobs bei gleicher Ausbildung. Ich finde das ungeheuer faszinierend, wie Gesellschaften es schaffen, subtilen Druck in die Richtung aufzubauen, was gerade gebraucht wird. Und wir brauchen eben eigenverantwortliche Menschen mit Disziplin und Leistungsbereitschaft. Sehen Sie sich dazu die Produkte an, die zur Selbstmedikation angeboten werden. In Wahrheit geht es dabei gar nicht um Gesundheit, sondern darum jederzeit körperlich und geistig fit und abrufbereit zu sein.

Ehgartner: Wie entstehen denn solche Moden wie das Ideal vom unbehaarten perfekt glatten Körpers?

Karmasin: Es wird als degoutant empfunden, dass es überhaupt noch Reste von tierischer Herkunft gibt. Begonnen hat das schon in der Renaissance, als der moderne Körper erfunden wurde. Der Schwert tragende, schmerzunempfindliche Mann galt nun als primitiv. Das Konzept des geschlossenen Körpers wurde formuliert und die perfekte Enthaarung im Schambereich treibt das auf die Spitze. Das zieht bei den Frauen gleich noch Genitaloperationen nach sich, weil ja alles sichtbar ist und auch die Schamlippen schön und perfekt geformt sein müssen.

Ehgartner: Und man riecht auch nicht mehr – außer nach Parfum.

Karmasin: Jede Form tierischer Herkunft wird getilgt. Keine dieser tabuisierten Körperausscheidungen darf nach außen dringen. Der Körper muss eine glatte, geschlossene Oberfläche zeigen. Das gehört bei uns auch zur Definition des autonomen Menschen. Wer das nicht erfüllt, dem sprechen wir ja fast das Menschsein ab. Denken Sie an die ganz alten Leute, die werden hinter die Kulissen verlagert, das wollen wir nicht riechen, nicht sehen und nicht spüren.

Ehgartner: Gibt es nicht auch eine Gegenbewegung gegen diesen Schönheitswahn?

Karmasin: Selbstverständlich, gegen alle Strömungen gibt es Gegenströmungen und Personen, die das aufs höchste anprangern. Diese extremen alternativen Abweichler, die Deos für Teufelszeug halten, sind allerdings Minoritäten. Die nehmen auch in kauf, dass sie stinken und die würden sich natürlich niemals Körperbehaarung rasieren.

Ehgartner: Wie wird denn ein Schönheitsideal zum Mainstream. Wird das verkündet, oder sickert das ein?

Karmasin: Denken Sie an Werbung der Siebziger Jahre. Da wurden Leute gezeigt, die in der Straßenbahn ihre nasse Achsel hoben und rundherum sind die anderen reihenweise umgefallen und haben haben sich geekelt. Damit begann der Siegeszug der Deos. Die Werbung schafft dabei allerdings nicht den ideologischen Überbau. Sie kann nur verstärken, was schon da ist, und es in sehr prägnante Zeichen fassen.

Ehgartner: Und sie stellt uns Prachtkörper vor die uns vor Neid erblassen lassen?

Karmasin: Damit wird die Schraube der Disziplinierung immer mal wieder ein bisschen mehr angezogen. Zudem ist es interessant, wie hier die Körpervorstellungen von Männern und Frauen abweichen. Aber es gibt ja schon wieder die nächste Stufe: Der Avatar, mit seinem computergenerierten Körper, der nur noch aus unglaublich grazilen sehnigen Gliedmaßen besteht. Das würden wir als nächstes wollen, wenn wir das irgendwie erreichen könnten.

Ehgartner: Sie bringen hier in Ihrem Buch zur Illustration die boomenden Samenbanken in den USA, wo man ein richtiges Wikinger-Kind von großen blonden skandinavischen Spendern bestellen kann.

Karmasin: Nach dem Stand der Dinge ist das immer noch ein Ideal. Wir denken, wir sind bei unseren Vorstellungen vom idealen männlichen und weiblichen Körper vollständig emanzipiert. Wenn sie dann aber sehen, was im Mainstream wirklich geschieht, so haben sie dramatische Unterschiede.

Ehgartner: Wie zeigt sich das?

Karmasin: Wir gehen davon aus, dass Frauen keine Kontrolle über ihren Körper haben, dieser führt ein Eigenleben, er ist ein unfolgsamer Agent. Der Bauch bläht sich oder auf einmal sinkt eine Partie ein und eine andere tritt hervor. Der weibliche Körper ist in der Kosmetik-Werbung prinzipiell defizitär. Der männliche Körper kann auch optimiert werden, aber im Kern ist er okay. Bei Frauen ist hingegen immer etwas zu tun. Da gibt es eine Creme gegen sichtbare Falten, eine gegen solche, die noch nicht sichtbar sind und eine gegen Falten, die erst entstehen könnten. Frauen sind prinzipiell weich und schwabbelig, so wie die Nachspeisen, und sehr leicht dringen Gefühle und Körperflüssigkeiten nach außen. Und das muss vermieden werden. Da sind Körpervorstellungen von Jahrhunderten verarbeitet in diesen Bildern.

Ehgartner: Was verbindet man denn mit übergewichtigen Politikern wie Josef Pröll einer war?

Karmasin: Man beginnt sich zu fragen, warum der wohl so mollig ist und vermutet: Der bewegt sich nicht richtig, der passt beim Essen nicht so auf und trinkt zuviel. Der ist nicht ganz so diszipliniert wie wir das so gern hätten. Also ist es besser, man ist so wie der Obama, oder die ganzen Kollegen, die sich dauernd als sportlich tätig zeigen. Wir stellen nicht unbedingt die Forderung, dass ein Politiker schön sein muss, aber er muss über einen Körper verfügen, an dem wir ablesen, dass er ein selbstverantwortlicher disziplinierter Mensch ist.

Ehgartner: Aber ein Nachteil ist es auch nicht, wenn man so aussieht wie Sebastian Kurz?

Karmasin: Bei Männern ist Schönheit ambivalent. Zum einen ist physische Attraktivität immer ein Bonus. Männliche Politiker müssen dann aber auch ganz schnell zeigen, dass sie sehr gescheit, clever und durchsetzungsfähig sind.
Denn die Frage, ob dieser Schönling wohl auch klug ist,kommt sehr schnell. Es gibt das Erhabene, das Würdige – das ist mit Männern korreliert, und dann das Liebliche, das Schöne. Und das ist auch bei dem Kurz so. Der muss sehr aufpassen, dass er nicht in die Schiene rutscht: Meingott, was für ein fescher junger Mann. Da schwingt dann immer der Zweifel mit, ob der auch gescheit und durchsetzungsfähig oder nur niedlich ist.

Ehgartner: Wir unterscheiden sich davon schöne Männer vom Typ eines Haider oder Strache?

Karmasin: Sie repräsentieren einen anderen Typ von Schönheit, den sportlich fitten Typ . Das passt immer, denn es geht in richtung Körperarbeit. Das wollen wir, weil wir sehen, hier war Disziplinierung am Werk. Beim Kurz kann man das nicht sagen. Der hat ein schönes Gesicht und lange Haare.

Ehgartner: Bei Frauen schlägt das dann um, wenn sie sich sportlich präsentieren – oder wenn man gar, wie bei Eva Glawischnig einen Bauchnabel sieht?

Karmasin: Das darf man nicht. Wie Politikerinnen ihren Körper präsentieren müssen, ist extrem rigide. Die Präsidenten Putin oder Sarkozy zeigen sich bei jeder Gelegenheit als sportliche Typen mit nacktem Oberkörper. Sowas wäre bei Politikerinnen ein absolutes Tabu. Die haben ihren weiblichen Körper in der Politik nicht zu präsentieren.

Ehgartner: Beim Dresscode wirkte Kanzlerin Merkel geschickter als Ex-Justizministerin Bandion Ortner?

Karmasin: Mit Sicherheit. Der Dresscode bei Politikerinnen darf nicht sagen: Ich bin ein kleinbürgerliches Weibchen. Der muss zeigen: Ich bin neutral, ich übernehme den dominanten Code. Und das ist der männliche. Frauen können Hosen tragen, aber Männer keine Röckchen. Je näher sie mit ihrer Kleidung an den Business-Macht-Code gehen, desto besser. Anders ist das bei Laura Rudas. Die ist ein ganz anderer Typ. Das ist die Junge. Es muss ja jede Zielgruppe angesprochen werden.

Ehgartner: Gibt es eigentlich noch eine Steigerungsstufe bezüglich der Schönheits-Ideale oder ist hier das Maximum bereits ausgereizt?

Karmasin: Ich denke, dass die Verbindung von Schönheit und Gesundheit noch verschärft werden wird. Der Gesundheitsmarkt ist ja ähnlich riesig wie jener der Schönheit. Und der lebt im Kern auch vom Traum des perfekten Körpers. Es gibt ja auch immer mehr Kliniken im Zwischenbereich, wo enttoxiert und aktiviert ,gesund und schön gemacht wird.

Ehgartner: Unterscheidet sich hier die „sanfte“ Alternativmedizin von den Reparaturansätzen einer plastischen Chirurgie?

Karmasin: Es geht eindeutig in beide Richtungen. Sie entsprechen den beiden Systemen, die bei uns bestimmend sind: das technisch Naturwissenschaftliche Weltbild, das von den staatlichen Stellen gefördert wird und die alternativen Ansätze. Dies ist ein boomender Markt, der einer Sehnsucht der Menschen entgegen kommt. Das eine System beruht auf dem Konzept des dualistischen, zerstückelten,isolierten Körpers, das andere auf dem des ganzheitlichen,fühlenden Körpers, der im Einklang mit der Natur ist.

Ehgartner: Dahinter steht immer auch der Gedanke, dass die Schönheit ein Statussymbol ist. Was unterscheidet denn dieses Symbol von – sagen wir – einem tollen Auto?

Karmasin: Man kann es nicht so einfach kaufen. Ein schöner Mensch signalisiert enorm viel: Finanzielles , soziales und kulturelles Kapital. Ein schöner Körper ist ein Zeichen, das nicht zu überbieten ist. Für einen schönen Körper brauchen Sie mehr als nur Geld, Sie brauchen auch moralischen Qualitäten.Er zeigt, dass Sie wirklich diszipliniert und selbstverantwortlich waren. Sie müssen auch die richtigen Experten kennen und die richtigen Netzwerke. Und das signalisieren Sie alles mit einem schönen Körper. Besonders dann, wenn sie älter sind. Das Leben verschärft diesen Kampf ja Jahr um Jahr. Wer es aber schafft, vom Ideal der Schönheit etwas zu behalten, hat etwas, das kaum durch irgend ein anderes Luxusgut zu überbieten ist.

Ehgartner: Was macht denn jemand, der zum Dicksein neigt?

Karmasin: Der muss sich halt stärker anstrengen. Zum Dicksein neigen, das ist so eine Sache. Wer neigt denn zum Dicksein: Wer abends drei Cremeschnitten isst und sich aufs Sofa legt. Die Leute sagen ja immer, ich esse wie ein Vögelchen und es sind die Gene. Aber es gibt selbstverständlich Abstufungen. Schönheit ist ein Merkmal, das wie alle anderen Merkmale verteilt ist. Manche haben es in hohem Ausmaß. Andere haben es gar nicht, sondern dünne Haare und gelbe Zähne und eine krumme Nase. Die haben dann die Möglichkeit, was zu unternehmen.

Ehgartner: Wie geht es denn Ihnen selbst, wenn Sie hässliche Menschen sehen?

Karmasin: Die erste Anmutung eines schönen Menschen ist sicher positiver als die eines hässlicheren. Da ist kaum jemand gefeit dagegen. Aber selbstverständlich kommt es dann schon drauf an, wie der Mensch spricht und wie er vom Wesen ist. Man kann den Startnachteil schon auch aufholen.


Dr. Helene Karmasin studierte Psychologie und Semiotik und ist die Gründerin der Karmasin Motivforschung GmbH.
Ihr aktuelles Buch „Wahre Schönheit kommt von Aussen“ (Verlag Ecowin, Salzburg) kommt diese Woche in den Buchhandel.


Dies ist die Langfassung eines Interviews, das im Rahmen der Titelgeschichte "Damenwahl" in der aktuellen Ausgabe des Nachrichtenmagazins profil erschienen ist. Foto: © Henisch

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