Samstag, 7. Januar 2012

Pneumokokken-Impfstudie: Sponsor und Studienleiter verurteilt

Immer öfter weichen Pharmakonzerne für teure und aufwändige Zulassungsstudien in Länder mit niedrigen Sozialstandards aus. Dort sind die Gesundheitsbehörden mit einfachen Mitteln freundlich zu stimmen, Teilnehmer lassen sich für einen Pappenstiel anwerben - und niemand redet dem Konzern bei der Abwicklung und Aufbereitung seiner Daten drein. Man kann es aber sogar in Entwicklungsländern zu bunt treiben.



GlaxoSmithKline (GSK), einer der weltgrößten Hersteller von Impfstoffen, wird die Strafe wohl aus der Portokasse bezahlen, der Image-Schaden wiegt hingegen schwer: Zu einer Million Pesos (rund 180.000 EUR) verurteilte ein argentinisches Gericht den multinationalen Konzern, sowie zwei Studienleiter, weil bei der Zulassungsstudie des Pneumokokken-Impfstoffes Synflorix Babys geimpft wurden, ohne dass gültige Einverständniserklärungen der Eltern vorlagen. Teilweise, stellte das Gericht fest, waren Unterschriften von Analphabeten eingeholt worden, die keine Ahnung hatten, worum es in der 28 Seiten umfassenden Erklärung eigentlich ging. Minderjährige Mütter wurden mit Drohungen zur Unterschrift genötigt. Manche der Unterschriften auf den Erklärungen stammten von Personen, die mit den Babys weitschichtig oder gar nicht verwandt - jedenfalls aber nicht erziehungsberechtigt - waren.

14 ungeklärte Todesfälle

In Argentinien hat der Prozess für ein gewaltiges mediales Echo gesorgt, zumal bekannt wurde, dass im Verlauf der Studie 14 Babys gestorben waren. Vermehrt gehen nun Verwandte an die Öffentlichkeit, die von einem arroganten und ignoranten Umgang der Studienleiter mit den Betroffenen berichten und den Verdacht äußern, dass die "experimentellen Impfstoffe" die Todesfälle verursacht haben.
Dieser Verdacht wird von GSK heftig zurück gewiesen, eine Konzern-Sprecherin kündigte volle Berufung gegen das Urteil an. Synflorix sei sicher, die Todesfall-Rate unter den rund 14.000 Studienteilnehmern deutlich geringer als in der Normalbevölkerung.
In einer am Dienstag veröffentlichten Erklärung heißt es, die Sicherheit des Impfstoffs werde durch das Urteil nicht in Frage gestellt. Auch die Nationale Verwaltung für Lebensmittel, Medikamente und Technologie in Argentinien (ANMAT) veröffentlichte am Dienstag eine Erklärung, dass der entwickelte Impfstoff "sicher" sei. ANMAT zufolge hatten "alle 14 verstorbenen Babys nicht den Wirkstoff, sondern ein Placebo erhalten, also ein Scheinmedikament".

Argentinische Behörden stehen GSK mit Falschmeldung bei

Ich habe zunächst an eine Falschmeldung von Spiegel online gedacht, als ich diese Mitteilung las. Tatsächlich fand ich die Aussage von ANMAT aber auch in anderen Quellen bestätigt. Die Mitteilung der argentinischen Behörden, dass alle Todesfälle nicht in der Wirkstoff-Gruppe, sondern in der Placebo-Gruppe aufgetreten sind, wo ein "Scheinmedikament" verabreicht worden sei, belegt, dass die ANMAT-Sprecher entweder keine Ahnung von der Studie hatten, oder absichtlich täuschen wollten.
Dass "alle Todesfälle in der Placebogruppe aufgetreten sind", sollte wohl suggerieren, dass Impfungen stets Todesfälle vermeiden - und jene Babys, die das Pech hatten, in die Scheinmedikamenten-Gruppe gelost zu werden, mit ihrem Leben dafür zahlen mussten.
Das ist aber insofern Schwachsinn, als bei nahezu allen Impfstoff-Studien als Placebos ebenfalls Impfungen verwendet werden.
Im Fall dieser - so genannten COMPAS-Studie (für "Clinical Otitis Media and Pneumonia Study") - sogar eine ganze Menge: Babys in der Synflorix-Gruppe bekamen im Studienzeitraum zehn Einzelimpfungen (darunter vier Mal die zu testende neue Impfung), die Kontrollgruppe erhielt keine Scheinmedikamente, sondern ebenfalls zehn Einzelimpfungen. Die "Placebos" waren eine Dosis der Hepatitis A und drei Injektionen der Hepatitis B Impfung.
Bei so einem Durcheinander an Impfungen ist es kaum noch möglich, die Verursacher einer Nebenwirkung zweifelsfrei zu identifizieren. Für die Pharmakonzerne ist das allerdings eine ideale Ausgangs-Situation für die Zulassung neuer Impfstoffe: je mehr Impfungen in der Placebogruppe, desto sicherer werden etwaige Nebenwirkungen in der Hauptgruppe maskiert und unsichtbar.
Falls die Aussage von ANMAT stimmen sollte, dass alle Todesfälle in der Kontrollgruppe aufgetreten sind, würde das allerdings ein ziemlich schlechtes Licht auf die Sicherheit der dort verwendeten Hepatitis-Impfstoffe werfen. Man kann aber getrost davon ausgehen, dass die ANMAT Aussage falsch ist und ihr einziger Zweck darin lag, GSK beizustehen und den Image-Schaden für den Pneumokokken-Impfstoff Synflorix einzugrenzen. 

In welchen Gruppen tatsächlich die Todesfälle aufgetreten sind und was die Ursachen waren, ist derzeit nicht zu eruieren. Hier werden wir wahrscheinlich auf die Publikation der GSK-Studie warten müssen, die für heuer angekündigt wurde. Dass in einer Studie, die von der Hersteller-Firma von Anfang bis zum Ende vollkommen kontrolliert wird, herauskommen würde, dass die Impfungen ursächlich an Nebenwirkungen oder am Tod der Babys beteiligt waren, käme allerdings einem Weltwunder gleich. Denn in derartigen Studien geht es um den Markteintritt eines potenziellen neuen Blockbusters. Und da sorgt schon die Marketing Abteilung des Konzerns dafür, dass nichts mehr schief geht.

Heftige Debatten um Pneumokokken-Impfung in Österreich

Viele Jahre hatte sich Österreich geweigert, den damaligen Pneumokokken-Monopol-Impfstoff Prevenar auf Staatskosten anzukaufen und gratis ins Impfprogramm aufzunehmen. Ich erinnere mich an wüste PR-Kampagnen der Impf-Lobby, in der die damalige Gesundheitsministerin Maria Rauch-Kallat quasi als Mörderin denunziert wurde, weil sie sich in den Verhandlungen quer gelegt hatte.
Später erzählte mir ein hoher Beamter von den damaligen heftigen Debatten, in denen sich die Impfexperten gegenseitig an Drohgebärden überboten und sogar aggressiver agierten hatten, als die Angestellten des US-Konzerns. "Man dachte wohl, es genügt, kräftig mit dem Leichentuch zu wacheln und wir zahlen den unverschämt hohen Preis, den die Amerikaner verlangten", sagte mir der damalige Chef-Verhandler von Seiten des Ministeriums. "Es handelte sich um pure Erpressung - und wir spielten nicht mit."
Weil die Impfexperten gar so solidarisch mit den US-Vertretern waren, wurde zudem eine öffentliche Erklärung von den Experten verlangt, dass sie nicht finanziell mitschneiden. Das empfanden die Herren Impfexperten dann als Provokation.
Diese Vorkommnisse sind einige Jahre her, die Minister kamen und gingen - die Vorstöße für die Gratisimpfung gegen Pneumokokken blieben jedoch eine fixe Konstante in der Community der Impfexperten. So musste etwa Herwig Kollartisch vom "Zentrum für Reisemedizin", der sich schon seit Jahrzehnten als eifriger Unterstützer aller möglichen Impfungen ausgezeichnet hat, "fast in Tränen ausbrechen", wenn er an die ungerechte und hartherzige Praxis im Lande denken musste.
Bei Gesundheitsminister Alois Stöger hatten die Impf-Lobbyisten schließlich Erfolg. Unter dem eifrigen Beifall des Grünen Gesundheitssprechers Kurt Grünewald kündigte der SPÖ-Politiker im Vorjahr an, dass nun auch in Österreich die Gratis-Pneumokokken-Impfung Realität wird.
Ab 1. Februar beginnt die Gratis-Impfaktion auf Kosten der Steuerzahler. Und zwar mit eben jenem experimentellen argentinischen Impfstoff, der mittlerweile unter dem Namen Synflorix in der EU zugelassen worden ist.

 Impfung bewirkt enormen Verdrängungs-Effekt unter Pneumokokken-Typen  

Der erste Pneumokokken-Konjugat-Impfstoff Prevenar kam zur Jahrtausendwende auf den Markt und wurde zu einem Milliarden-Blockbuster für den US-Konzern Wyeth (der daraufhin vom weltgrößten Pharmakonzern Pfizer um eine Rekordsumme aufgekauft wurde). Prevenar sollte gegen die sieben gefährlichsten der mehr als 90 verschiedenen Pneumokokken-Stämme wirken, versprach die Produktwerbung.
Als Folge der breiten Impfkampagnen ergab sich jedoch eine herbe Überraschung: Es kam zu einem gewaltigen, bisher noch nie registrierten Verdrängungs-Effekt. An Stelle einer dauerhaften Reduktion der Krankheitsfälle änderte sich nämlich bloß die Art der Bakterien, die als Verursacher von Gehirn-, Lungen oder Mittelohr-Entzündungen identifiziert wurden. Jene sieben Pneumokokken Stämme, die im Impfstoff enthalten waren, verloren zunehmend an Terrain, die anderen Pneumokokken-Stämme holten hingegen stark auf.
Dies führte - nach einem anfangs recht starken Rückgang invasiver Pneumokokken-Erkrankungen - zu deren massivem Comeback, die sich teilweise sogar auf einem höheren Niveau einpendelte als zu Beginn der weltweiten Impfaktionen.
Als besonderes Problem erwies sich die Ausbreitung des Stammes 19A, der überdurchschnittlich häufig gegen Antibiotika resistent ist. Viele Patienten starben an der Infektion, andere erlebten ein jahrelanges Martyrium mit unzähligen erfolglosen Therapie-Versuchen. Eine niederländische Studie ergab, dass geimpfte Kinder ein nahezu doppelt so hohes Risiko haben, dass ihre Nasen-Schleimhäute vom Serotyp 19A besiedelt werden, als Kinder einer ungeimpften Kontrollgruppe.

Hochrüstung am Pneumokokken-Markt

Der schleichende Austausch bei den Pneumokokken-Typen war auch in Ländern spürbar, in denen nur wenige Kinder geimpft wurden. Beispielsweise in Österreich, wo die Pneumokokken-Impfung bisher nur für Risikokinder gratis war. Einen Überblick dazu bietet der kürzlich veröffentlichte Bericht der Nationalen Referenzzentrale für das Jahr 2010: Trotz schlechter Impfrate sank der Anteil der von der alten 7-valenten Prevenar-Impfung abgedeckten Serotypen von 46 Prozent im Jahr 2005 auf nur noch 29 Prozent im Jahr 2010.
Mit dem, nun vom Gesundheitsministerium angeschafften Impfstoff Synflorix von GSK wird ein wenig aufgerüstet und der Schutz von 7 auf 10 Serotypen erweitert. Damit werden - zum derzeitigen Stand - 41 Prozent der von Pneumokokken insgesamt verursachten Krankheiten abgedeckt. Das heißt aber gleichzeitig, dass der vom Ministerium demnächst angebotene Gratis-Impfstoff gegen 59 Prozent der in Österreich grassierenden Pneumokokken-Infektionen keinen Schutz bietet. Ein Anteil, der sich - nach den Erfahrungen mit Prevenar - über die Jahre zweifellos noch deutlich erhöhen wird. Und somit rüsten die Impfstoff-Konzerne immer weiter auf und versuchen Varianten auf den Markt zu bringen, die gegen immer mehr Serotypen gerichtet sind.

Impfexperten sind dennoch voll des Lobes über Alois Stögers Initiative. Endlich ist es auch hierzulande möglich, aktiv und auf Kosten der Steuerzahler - also praktisch gratis - mit seinen Kindern am Verdrängungs-Wettkampf der Pneumokokken-Serotypen teilzunehmen.
Bleibt nur zu hoffen, dass der Druck nicht zur weiteren Ausbreitung des Horror-Typs 19A beiträgt. Genau gegen diesen hoch problematischen Serotyp schützt Synflorix - im Gegensatz zur neuen 13-valenten Prevenar Impfung - nämlich nicht.
Dafür war Synflorix in der Anschaffung deutlich preisgünstiger.